Ansehen - Berliner Dom

May 27, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin

Pfarrer Michael Kösling 16. Sonntag nach Trinitatis 2012, 23.09.2012, 10 Uhr Predigt über Apostelgeschichte 12, 1-11 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Wir stehen da und können uns nicht satt sehen. Niemand von uns sagt etwas. Sehen reicht. Genau hinschauen. Nah rangehen. Wir wachen über den Schlaf unserer Tochter und sehen in ihrem Gesicht eine helle Zukunft. Sie bekommt sie geschenkt im Schlaf. Von uns – denken wir jedenfalls in diesem Augenblick. Wir sind die Wächter ihres Lebens, wie wir da so stehen – stolz wie Oskar. Unser Leben liegt offen da. Beten wir? Irgendwann aber müssen wir doch gehen. Wir nehmen unsere Tochter auf den Arm, behutsam und ganz unsicher noch. Und dann geht alles ganz schnell: Wir gehen vorbei an den eigentlichen Wächtern dieses Ortes, den Schwestern, Hebammen und Ärzten. Türen schwingen wie von Geisterhand auf. Wir gehen hindurch und hinaus in einen klaren Sommertag. Es ist irre, unsere Tochter schläft die ganze Zeit. Wir fahren los und eine Straße weiter schon finden wir uns wieder mitten im Leben zwischen Straßenbahnen, Einkaufszentren und dem alltäglichen Wahnsinn. Unsere Tochter verschläft das alles und ist damit einem berühmten Tiefschläfer der Bibel nicht unähnlich. Dieser allerdings findet sich in einer weitaus unkomfortableren Situation wieder. Und als er aus seinem Traum erwacht, kann er ihn glauben. Predigttext Apostelgeschichte 12, 1-11 1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. 3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. 4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. 6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. 8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete. Petrus, immerhin der Fels, auf dem nach Jesus Worten die Kirche gebaut werden soll, schläft viel und offenbar sehr gut. Man könnte sagen, er verschläft die wichtigsten Augenblicke seines Lebens. In der Nacht, in der alles auf Messers Schneide stand und Jesus kein Auge zugemacht hat, schläft Petrus im Garten Gethsemane. Und auch jetzt, im Gefängnis, vom Tode bedroht, er wäre nicht der erste, Jakobus, der Bruder des Johannes musste schon durchs Schwert sterben, schläft Petrus tief und fest. Zwischen zwei Soldaten, in Ketten gelegt, wir dürfen also von einem unbequemen Nachtlager ausgehen, schläft Petrus. Was ist das für ein Schlaf? Ist es der des gelassenen Philosophen für den der Schlaf eines von drei Dingen ist, neben der Hoffnung und dem Lachen, die Mühseligkeiten des Lebens zu ertragen? Ist es der Schlaf des Gerechten, dem es der HERR eben im Schlaf gibt? Oder ist es der Schlaf, der den Tod vorwegnimmt? 1

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin

Die Antwort liegt im Drehbuch dieser Geschichte. Blättern wir es einmal durch, dieses Drehbuch von Gefangenschaft und Befreiung, liebe Gemeinde. Petrus wird festgenommen. Gar nicht zufälligerweise in dem Zeitraum, in dem vor ihm auch Jesus einst festgenommen worden war – an Passa. Herodes möchte auch Petrus vor das Volk stellen, so wie er es mit Jesus getan hatte. Petrus kommt ins Gefängnis. Die Türen verschließen sich hinter ihm. Er ist zum Tode verwahrt. Vier mal Vier Soldaten werden allein für ihn abgestellt. Selbst sein Schlaf wird von Wächtern überwacht. Er liegt in Ketten. Er ist ganz abgeschnitten von der Welt. Von der Bildfläche verschwunden. Einfach weg. Man könnte meinen, er liegt schon im Grab. Bewacht, wie das seines Herrn einst. Stille. Doch dann geht das Licht an. Es kommt Bewegung in die Szene. Ein Engel tritt auf. Und er hat einige Mühe den Schlafenden zu wecken. Er muss ihm erst grob in die Seite stoßen, ihn antreiben, zur Eile bewegen: Zieh dich an, mach schon! Erst die Schuhe, dann den Mantel. Na los. Der arme Petrus. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Es geht vorbei an den Wachen, die nichts merken, oder selbst schlafen. Das kennen wir doch von irgendwo her. Schwere Eisentüren schwingen wie von Geisterhand auf. Wer denkt da nicht an den Stein vorm Grab? Und Petrus findet sich eine Straße weiter, mitten im Leben. Ja, er lebt noch. Jetzt ist er endlich wach. Das ist die ganze Geschichte. Der Schlaf des Petrus nimmt den Tod vorweg. Er muss geweckt werden. Er muss leben. Was für ein Drehbuch. Wer würde da nicht eine unbequeme Nacht in Kauf nehmen, da mitspielen zu dürfen, liebe Gemeinde? Blättern wir in den Drehbüchern unseres eigenen Lebens. Lesen wir in unseren Lebensgeschichten und überblättern wir die Seiten unserer Gefangenschaften nicht, diese dunklen Kapitel unseres Lebens. In denen wir selbst gefangen liegen in Angst, erstarrt und im Würgegriff der Furcht, dass es uns den Atem abschnürt. Wer steht da vor unseren Türen? In welchen Ketten liegen unsere Herzen? Wir hören die Stimmen der Wächter. Da hören wir den Selbstzweifel, der uns hindert, die Tür aufzustoßen ins Land unserer Hoffnungen und Träume. Er lässt uns nicht so einfach losgehen. Ihm zur Seite steht, ja, so hört sie sich an, die gute alte Konvention, die die Mauern des Raumes, auf dem wir stehen, auf uns zu schiebt. Der Raum wird enger und tiefer. Die Unzufriedenheit steht zwischen beiden und schaut gehässig durchs Guckloch. Unser Blick auf uns selbst. Wir finden doch immer etwas, was viel besser sein könnte. Um unsere Herzen liegt die Kette unseres Wohlstands, die Angst in zu verlieren, die uns hindert, loszulassen und zu geben. Vier mal Vier Wächter stehen vor unseren Gefängnissen. Die Wachen wechseln. Wachablösung, damit Ausgeschlafene kommen und die Tür verschlossen bleibt und die Riegel fest. Und das Leben bleibt draußen. Es liegt ganz und gar nicht offen da. Unseren Schlaf bewachen Soldaten, finstere Gesellen, grimmig und böse. Und denen müssen wir jetzt im Dunkeln begegnen. Sie wehren nicht den Albträumen. Es sind keine bunten Träume mehr, die wir träumen. Bilder einer hellen Zukunft werden nicht durchgelassen. Abgefangen wie heimliche Briefe aus dem Leben. Wenn es gut geht, ist es ein traumloser Schlaf. Und damit noch nicht genug. Die dunklen Kapitel unseres Lebens schreiben an der Geschichte unserer Welt. Wir bauen mit ihnen unsere großen Gefängnisse. Wir stellen Wächter davor und sind Gefangene einer Festung. Unser Land, Europa. Niemand kommt hinein. Kein Flüchtiger, kein Suchender, kaum ein Bittender. Und wir sind gefangen, schlafen den Schlaf des Wohlstands unter der Angst, zu verlieren was wir haben, mit der Furcht vor dem Fremden. Dabei fing doch einmal alles so gut an, als wir so dalagen, klein und zerbrechlich am Anfang unseres Lebens. Andere standen neben uns und hielten die Wacht. Unser Leben hat uns also fest im Griff, zu fest manchmal dass es einem Gefängnis gleicht. Der Alltag funktioniert eben mit schlafwandlerischer Sicherheit und wenn man nur noch funktioniert, ist man schon fast tot. Stillstand in aller Hektik und Unübersichtlichkeit. Stille. Doch dann geht das Licht an. Nicht irgendeins. Es ist das von Ostern her. Aufstehen. Anziehen. Losgehen. Befreit von allem, was uns vom Leben und voneinander abschnitt. In traumwandlerischer Sicherheit. Ein anderes Kapitel ist aufgeschlagen. Das Drehbuch schreibt sich zum Leben hin. Der große Traum Gottes mit uns Menschen nimmt von uns Besitz und wir wissen gar nicht, wie uns geschieht. Er ist Wirklichkeit geworden in Christus an jenem Morgen, als der Stein vom Grab gerollt war, als die Bande und Stricke des Todes das erste Mal und ein für alle Mal entzwei gerissen worden sind. Dieses Licht erhellt unsere Gefängnisse und legt einen anderen Traum in unsere Herzen. So unglaublich, dass wir uns fragen, ob wir träumen oder wachen. Da aber offensichtlich die Errettung vom Tode jedem von uns passieren kann, selbst dem größten Tiefschläfer vor dem Herrn, gilt es in solchen lichten Momenten einfach durch die Selbstzweifel, die Unzufriedenheit, die Konventionen, und die Angst hindurchzugehen, überhaupt hindurchzugehen durch die Vier mal Vier Wachen vor unserem Leben. 2

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin

Durch die schweren Türen auf die Straße, ins Leben. Nicht allein. Christus nach. Aufwachen, Anziehen und Losgehen. Gott legt seinen Traum in unser Herz. Wir lassen ihn rein und gehen raus. Erst einmal eine Straße weiter, um richtig wach zu werden und sich selbst zu erlauben, zu glauben und dann weit über den Kartenrand hinaus, an einen anderen Ort, endlich wieder zu Menschen. Dahin jedenfalls geht Petrus. Er geht fort an den Ort, zu dem hin sich die Türen geöffnet haben. Seine Spur verliert sich. Er hat das erbetene Wunder des Lebens an sich selbst zugelassen. Unsere Tochter schläft heute noch gerne tief und fest und vor allem lange. Wir haben es uns angewöhnt, unsere Träume zu erzählen: genau hinzuschauen und nah ran zu gehen. Sie sind aller meistens bunt und handeln vom prallen Leben. Wir entdecken Traumfetzen mitten im Leben. Sie sind Wirklichkeiten geworden hier und da. Wo wir dem Fremden begegnen, wo unsere Hände bedingungslos geben, wo wir einander überrascht umarmt werden. Überall da. Wir wussten meist gar nicht, wie uns geschieht. Verschlafen wir unser Leben nicht, liebe Gemeinde, leben wir der Wirklichkeit des lebendigen Gottes hinterher und seiner Welt entgegen, aufgeweckt, verträumt mit traumwandlerischer Sicherheit. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft bewahre Eure Herzen in Christus Jesus. Amen.

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